Kurt Eisner
Kulturstiftung
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Pressespiegel

Süddeutsche Zeitung Nr. 273/ Seite 30, beilage Stiftungen 26. November 2009


Der Künstler als Anarchist

Die Freiheit, sich einzumischen

In München versuchen Stifter im Gedenken an Kurt Eisner,
Kunst und Politik zusammenzubringen

Von Katja Riedel

Die Stiftung hat greifbare Ausmaße, ganz physisch betrachtet. 70 mal 50 Zentimeter sind sie groß, die asphaltgrauen, mit Leinen bespannten Deckel, die ein Vermögen sicher bergen: Zwanzig Graphiken in München wirkender Künstler, gestiftet, um den Wert zu mehren. Das Vermögen, aus dem sich die Münchner Kurt-Eisner-Stiftung speist, war nicht, wie bei anderen Stiftungen, ohnehin vorhanden und zu verteilen. Es musste eigens geschaffen werden: aus ideellen Werten, aus Papier und Farbe. Es ist eine Stiftung, die politische Kunst fördern soll. 50 Mal wurde diese Mappe 1988 gedruckt und anfangs zu je 3000 Mark verkauft. Acht Mappen mit Lithographien und Siebdrucken, teils schrill leuchtend und düster, sind noch übrig. Jede von ihnen sei inzwischen etwa 5000 Euro wert, sagt der Mitgründer und Vorstand der Stiftung, Wolfram Kastner. Und das ist kein Wunder: In ihrem Inneren finden sich, in feines Seidenpapier eingeschlagen, die Werke inzwischen namhafter Künstler und akademischer Lehrer: Herbert Achternbusch, Rupprecht Geiger oder Günther Förg sind die wohl bekanntesten, deren Werke auf dem Kunstmarkt inzwischen hoch gehandelt werden. Sie alle haben ihre gestifteten Drucke unter einer Überschrift vereinigt: "Die Freiheit erhebt ihr Haupt". So zitiert die Mappe in klarem weißem Prägedruck den Namensgeber Kurt Eisner - als Maxime des Stiftungszwecks.

Mehr als sein Haupt hat dieser Namensgeber selbst erhoben, gegen Hunger, gegen Krieg, für den Frieden. Es waren Monate, in denen Eisner ein Land bewegte, in dem zuvor Kontinuität und ein festes Gefüge aus Oben und Unten kennzeichnend gewesen waren. Am 8. November 1918 hatte der Journalist und Politiker aus der linken USPD in München die Republik, den "Freistaat Bayern", ausgerufen und die Wittelsbacher-Dynastie nach Jahrhunderten einfach so vom Thron gefegt. Er schaffte nicht nur den Adel als Stand ab, sondern führte in Bayern das erste Frauenwahlrecht Deutschlands ein, eines der ersten weltweit, den Achtstundentag, die Arbeitslosenversicherung. Und doch ließen sich die alten Kräfte diesen vergleichsweise noch moderaten Umbau des Systems nicht gefallen. Erst erlitt er bei den Wahlen zur Bayerischen Nationalversammlung mit nur 2,5 Prozent der Stimmen eine herbe Wahlschlappe. Als er schon den Rückzug seines Kabinetts angekündigt hatte, ermordete ihn, den Politiker jüdischer Abstammung, am 21. Februar 1919 der republikfeindliche und antisemitische Anton Graf von auf Valley. Doch das Credo des Mannes, der im Schwabinger Künstlermilieu eine feste Größe war und danach trachtete, die Intellektuellen auf die Seite der aktiven Politik zu holen, überlebte: "Der Künstler muss als Künstler Anarchist sein" - herrschaftsfrei. Eine sozialistische Gesellschaft, gewaltlos, auf der Freiheit des Einzelnen basierend - das war seine Utopie.

Und die von Wolfram Kastner. Für den Münchner Künstler war allein dieser Satz 1988, 70 Jahre nach Eisners Revolution, Grund genug, eine Stiftung ins Leben zu rufen, die nicht nur das Gedenken an Eisner hochhält, sondern zugleich in dessen Sinne Kunst und Politik verbindet - nicht affirmative Staatskunst, sondern subversive, kritische Statements, eigenständige Betrachtungen zur Gegenwart in ihrer eigenen Sprache. 1988 machten er und sein mittlerweile verstorbener Mitstreiter Gerhard Koitschew sich auf die Suche: Nach Geld und nach Gleichgesinnten. Politische Bekenntnisse und Ideen seien in der Kunstszene nur sehr selten zu finden, viel zu viele Künstler scheuten die Politik und zögen sich auf die einsame Insel zurück, den Standpunkt der reinen Ästhetik.

Wolfram Kastner sieht das anders, das Werk des Aktionskünstlers ist ein einziges politisches Statement. Deshalb ist er auch nicht unumstritten. Beim Besuch Papst Benedikts XVI. im Jahr 2006 spazierte Kastner, als Papst verkleidet, Arm in Arm mit einem Kollegen im Hitler-Kostüm durch die Münchner Fußgängerzone, um an das Konkordat zwischen Staat und Kirche zu erinnern. Nicht nur für diese Aktion wurde Kastner festgenommen. Statements wie diese haben ihm den Ruf des Provokateurs eingetragen - er selbst möchte sich aber nicht als ein solcher verstanden wissen. Am Jahrestag der Bücherverbrennung brennt er eine schwarze Stelle ins Gras, dort, wo die Bücher und die Ideen 1933 brannten. Kastner sagt: "Bin ich der Provokateur, weil ich das sichtbar mache, was damals passierte? Dass die Gebildeten dieser Stadt sich dort versammelten und es zuließen, dass die Bücher brannten?" Der Künstler muss als Künstler eben Anarchist sein - davon ist er immer noch überzeugt, 20 Jahre, nachdem er diesen Eisner-Aphorismus auch auf sein Blatt der Stiftungsmappe geschrieben hat -- in Spiegelschrift.

Das Startkapital liegt in Form von Kunstmappen vor

Mit dem Stiftungsvermögen will Kastner bewirken, dass junge Künstler, die sich einmischen, gefördert werden. Sechs Kunstpreise hat die Stiftung seit ihrem Bestehen verliehen, jetzt ist sie dazu übergegangen, Stipendien zu verleihen. Bei der letzten Ausschreibung anlässlich des 90. Jahrestages der Revolution in München haben sich 100 Künstler um diese Förderung beworben. Gewonnen haben die Berliner Shirin Homann-Saadat und Marold Langer-Philippsen. Auch der politische Künstler Hans Haacke gehörte in der Vergangenheit schon zu den Preisträgern. Das, was die Stiftung fördert, soll wie das Wirken Eigners revolutionär sein. Dafür, weiß Kastner, ist es schwer, öffentliche Förderer zu finden. Deshalb hat die Kurt-Eisner-Stiftung bisher auch keinerlei Zustiftungen erhalten. Ihr einziges Vermögen ist nach wie vor die Kreativität der Stifter. Das Konzept, aus Kunst eine Stiftung zu schaffen, empfiehlt Kastner anderen zur Nachahmung.





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